
Ein Essay von REZA HAFIZ
Kindheit.
Kindheit ist ein Ort, den man nie ganz verlässt – aber auch nie wieder zurückkehrt.
Meine begann nicht hier.
Sie begann dort, wo die Sprache anders klang, wo die Luft nach vertrautem Essen roch, wo Straßen mir gehörten, bevor ich wusste, dass es Grenzen gibt.
Dann kam der Abschied. Ein Koffer, der für ein ganzes Leben zu klein war. Eltern, die versuchten, stark zu sein. Geschwister, die noch nicht verstanden, dass wir aufhören würden, irgendwo dazuzugehören.
Deutschland wurde unser neues Zuhause – aber nicht sofort. Erst war es nur ein Land mit fremden Worten, die meine Zunge nicht formen konnte.
Ein Land, in dem mein Name fremd klang, in dem meine Eltern nicht mehr die Erwachsenen waren, sondern Menschen, die nach Worten suchten, nach Arbeit, nach Anerkennung.
Ich war das Kind, das schneller lernte, schneller verstand, schneller vermittelte. Ich war die Brücke zwischen zwei Welten.
Doch Kindheit ist geduldig. Sie findet ihren Weg. Zwischen Klassenräumen und Spielplätzen, zwischen Scham und Stolz, zwischen zwei Heimaten.
Ich lernte, dass Zugehörigkeit nicht von Geburtsorten abhängt, sondern von Menschen, die einen annehmen.
Dass Sprache nicht nur Worte sind, sondern Türen, die sich öffnen oder schließen. Dass Heimat nicht ein Punkt auf der Landkarte ist, sondern ein Gefühl.
Manchmal frage ich mich, wer ich gewesen wäre, wenn wir geblieben wären. Ein anderer? Vielleicht. Aber ich bin dieser geworden.
Heute weiß ich: Ich bin aus zwei Welten gemacht. Ich trage die Erinnerungen meines Ursprungs und die Möglichkeiten meiner Zukunft.
Meine Kindheit war nicht nur ein Anfang – sie war ein Brückenbau zwischen gestern und morgen.
Und vielleicht ist genau das meine Heimat.