
Verlust.
Ein Essay von REZA HAFIZ
Zu leben bedeutet, Dinge zu verlieren.
Das klingt hart. Vielleicht sogar ungerecht.
Aber es ist eine der Wahrheiten, die uns das Leben immer wieder unerbittlich vor Augen führt.
Wir verlieren Menschen, die wir lieben.
Manchmal durch Entfernung, manchmal durch Missverständnisse, manchmal durch Tod.
Wir verlieren Orte, an denen wir uns sicher fühlten, Berührungen, die uns trösteten, Stimmen, die uns Mut machten.
Wir verlieren Freundschaften, weil Wege sich trennen, und Träume, weil sie der Realität nicht standhalten.
Und auch wenn wir es nicht wollen: Wir verlieren Zeit.
Tag für Tag, Minute für Minute.
Verlust tut weh. Und vielen Menschen macht er Angst. Denn jeder Verlust ist ein Zeichen dafür, dass nichts für immer ist. Nichts bleibt. Nicht einmal wir selbst.
Doch vielleicht liegt genau darin eine seltsame Schönheit.
Denn wir verlieren, weil wir leben.
Und wir trauern, weil wir lieben.
Denn in jeder Leere, die ein Verlust hinterlässt, wohnt die Wahrheit inne: Wir haben etwas Bedeutendes erlebt.
Etwas, das uns geprägt hat. Etwas, das es wert war, gehalten zu werden.
Je älter ich werde, desto klarer erkenne ich: Erfolg bedeutet nicht, nicht zu verlieren. Erfolg bedeutet, Verlust zu akzeptieren.
Und die Fähigkeit, das, was ging, nicht als Mangel zu begreifen, sondern als Teil unseres Reichtums.
Denn alles, was wir je verloren haben, war einmal unseres.
Es hat uns berührt, verändert, geliebt.
Und das bleibt. Auch wenn es gegangen ist.
Verlust ist nicht unser Feind.
Er ist unser Lehrer.
Er zeigt uns, was zählt.
Er zeigt uns, dass nichts selbstverständlich ist – nicht das Lachen eines Freundes, nicht die Hand, die liebevoll unsere hält, nicht das Dach über unserem Kopf.
Wenn wir den Verlust nicht mehr verdrängen, sondern mit ihm gehen, verändert sich etwas.
Wir halten die Hand eines Menschen, den wir lieben, achtsamer.
Wir sagen öfter „Ich liebe dich“.
Wir rufen zurück.
Wir verzeihen.
Wir lassen los, was nicht hält, und umarmen, was bleibt.
Im Wissen, dass auch das irgendwann gehen wird.
Der Schmerz, den wir dabei fühlen, ist kein Zeichen unserer Schwäche.
Es ist der Beweis unserer Fähigkeit, zu lieben.
REZA HAFIZ